Olaf Raitzig
Kindheit und Schulzeit
Olaf Raitzig ist am 23. September 1935 in Berlin geboren, wo er bis zum Ausbruch des Krieges mit seinen Eltern und einer jüngeren Schwester glückliche Kinderjahre verbringt, in denen frühzeitig gesungen und musiziert wird.
Der Krieg verschlägt die Familie zunächst nach Ostpreußen auf den Bauernhof seiner Großmutter. Von den ukrainischen Fremdarbeitern hört er dort als Achtjähriger wunderbar ursprüngliche Musik, deren Reinheit ihn sein ganzes musikalisches Leben lang begleitet.
Später besucht er in Thüringen eine einklassige Dorfschule, in der alle Kinder zwischen 7 und 14 Jahren in einem einzigen Raum unterrichtet werden. Sie suchen die seltenen Adonisröschen, berechnen das Volumen einer Kartoffel, bauen das gesamte Dorf aus Lehm nach und singen gemeinsam mehrstimmige Lieder.
Berufsausbildung über den KFZ-Mechaniker zum Musiker
Später soll Olaf Raitzig in der Oberschule das Abitur ablegen, aber er will Autoschlosser werden. Ab 1953 arbeitet er in diesem Beruf in Weimar. Gleichzeitig begeistert ihn immer mehr die Musik. Er holt 1955 an der Berliner Arbeiter- und Bauernfakultät sein Abitur nach und bewirbt sich anschließend für ein Musikstudium. André Asriel von der „Hochschule für Musik Hanns Eisler“ erkennt sein Kompositionstalent und empfiehlt seine Aufnahme an die Hochschule. Hier stößt Olaf Raitzig zum ersten Mal auf Werke von Guillaume de Machaut und Josquin Desprez; Komponisten des Mittelalters. Er hört Aufnahmen von Liedern des flämischen Komponisten Guillaume |
Dufay, ausgeführt vom Brüsseler Ensemble „Pro Musica Antiqua“ (das für ihn sein Leben lang Vorbild in der musikalischen Ausführung blieb) unter der Leitung von Safford Cape. Er ist restlos fasziniert und beschließt, sich dieser Musik in Zukunft zu widmen. Seine Lieblingsfächer sind Kontrapunkt, Komposition und Musikgeschichte, zu seinen Lehrern gehören Günter Kochan (Komposition) und Fritz Höft (Chorleitung). Nachdem Olaf Raitzig das Studium wegen einer nicht staatskonformen politischen Äußerung für Jahre unterbrechen musste, darf er 1965 endlich sein Staatsexamen nachholen, das Ruth Zechlin als Prüferin mit Eins bewertet. |
musikalische Leitung von Laienensembles
Seine Musikerlaufbahn beginnt Olaf Raitzig als Mitarbeiter kultureller Institutionen mit Chorleitertätigkeit. Als die „DDR-Singebewegung“ Anfang der siebziger Jahre vom Staat ins Leben gerufen wird, findet er hier ein ideales Betätigungsfeld. Über zwanzig Jahre arbeitet er als freischaffender Musiker und betreut als musikalischer Leiter mehr als fünfzehn Ensembles. Die Arbeit mit den interessierten Laien, die voll musikalischer Neugier stecken und immer wieder Neues kennenlernen und ausprobieren wollen, betrachtet er für sich als Geschenk. |
Er komponiert und arrangiert hunderte Musikstücke die das musikalische Niveau unterstreichen und fördern, und die er aufgrund wechselnder Besetzungen oft umschreibt. Zur großen Freude der Laien studiert er mit ihnen sehr schöne Madrigale der Renaissance ein. Er bringt ihnen bei, ihre verschiedensten Instrumente interessant einzusetzen und ermuntert sie ständig dazu, eigene Kompositionen zu wagen, die er behutsam begleitet. In dieser anregenden Atmosphäre entstehen vielfältige Programme, die mit zahlreichen Preisen geehrt werden. |
musikwissenschaftliche Erforschung der gotischen Motetten
Neben dieser abwechslungsreichen Tätigkeit, die ihm seinen Lebensunterhalt sichert, beschäftigt er sich mit seinem Hobby: der Erforschung der gotischen Musik des 14. Jahrhunderts. Hierbei gilt seine besondere Vorliebe den Motetten der „ars nova“, einer Kunstepoche zwischen 1320 und 1410. Er erlernt die Regeln der mittelalterlichen Notationssysteme, analysiert die Urschriften der Kompositionen, von denen er glücklicherweise einige sehr wichtige Kopien besitzt und studiert die vorhandene Literatur anderer Musikwissenschaftler. Er überträgt die Kompositionen aus ihrer Mensuralnotation in moderne Partituren und erlernt die alten romanischen Sprachen, um die Texte der Musik verstehen zu können. Er gründet ein eigenes Ensemble, die Berliner Gruppe „musica mensurata“, die aus ausgebildeten Musikern besteht und über eine stattliche Auswahl herrlicher historischer Instrumente verfügt. |
Unter seiner Leitung und nach seinen Übertragungen studiert die Gruppe Motetten, Rondeaus, Balladen und Virelais ein, die sie mit viel Erfolg auf den Burgen und Schlössern Mittel- und Westeuropas aufführt. Neben der Konzerttätigkeit werden auch zwei Schallplatten produziert und später als CDs neu verlegt. Zwei Jahre beschäftigt sich Olaf Raitzig mit mathematischer Statistik und schreibt Computerprogramme, um anhand eines Vergleiches der Tenores der einzelnen Motetten Analogien zu finden, die Rückschlüsse auf ihre Entstehungszeit und die Komponisten erlauben. Um die rhythmische Struktur der ars nova Motetten deutlicher zu demonstrieren, beginnt er damit, Klangbeispiele zu erzeugen und widmet sich dieser Aufgabe bis zu seinem Tod am 22. August 2008. |